Finanzwissenschaftler und VSH-Versicherer einig: Finanznorm reduziert Haftungsrisiko

Wenn zwei Rechts-Gelehrte anfangen zu diskutieren, hören normalerweise alle anderen auf zuzuhören. Nicht so Finanzdienstleister, wenn die Gelehrten-Diskussion Haftungsfragen betrifft. Das zeigt ein aktueller Fall. 

Dr. Klaus Möller

In Vertriebskreisen machen gerade zwei Fachbeiträge aus der renommierten Zeitschrift „Versicherungsrecht“ die Runde. Darin geht es um die Frage, ob sich Finanzberater auch mit Regelwerken jenseits von Gesetzen und Verordnungen vor Haftungsansprüchen schützen können, Regelwerken wie zum Beispiel den DIN-Finanznormen. Der eine Gelehrte, Professor Hans-Peter Schwintowski konstatiert seit Langem: Ja, und geht sogar so weit zu sagen, dass allein die Existenz einer Norm Finanzberater verpflichte, sie anzuwenden, um im Zweifel vor Gericht glaubhaft zu sein. Der andere, Professor Peter Reiff, einst Richter am OLG Koblenz und Inhaber eines Lehrstuhls an der Uni Trier, relativiert. Er verweist auf die bestehenden Gesetze und Verordnungen, die den Haftungsrahmen ausreichend beschrieben. So die arg verkürzte Wiedergabe der beiden Positionen. Tatsächlich aber liegen die beiden Rechtswissenschaftler recht nah beieinander.

Dass die Diskussion für Unruhe und neue Überlegungen in Beraterkreisen sorgt, ist klar. Betrifft sie doch ihre Berufsausübung ganz elementar. Der Hintergrund: Unter dem Dach des Deutschen Instituts für Normung (DIN) sind mittlerweile vier Finanznormen entstanden. Die wichtigste, über die an dieser Stelle nur zu sprechen ist, heißt DIN-Norm 77230 „Basis-Finanzanalyse für Privat-Haushalte“. Ihre Anwendung soll eine neutrale, transparente und nachvollziehbare Bedarfsermittlung bei den Kunden sicherstellen. Denn zu oft erfolgt diese in der Praxis nur rudimentär und von gewissen Vertriebsinteressen gesteuert.

Auch wenn sich immer mehr namhafte Versicherer, Vertriebe und manche Banken zur „Analyse-Norm“ bekennen, so tun sich viele Finanzdienstleister noch schwer, sich auf die Norm zertifizieren zu lassen. Selbst die vielen betriebswirtschaftlichen Vorteile wie Steigerung der Vertragsdichte pro Haushalt, die Wertsteigerung des Vertragsbestandes, die vielen Cross-Selling-Effekte und andere mehr, von denen die Anwender unisono berichten, reichen nicht als Überzeugung. Die Verweigerer sehen in der Norm nur eine weitere Gängelung in ihrer Berufsausübung, nicht aber ein Werkzeug für mehr Effizienz und vor allem mehr Haftungssicherheit, geschaffen von der Branche für die Branche.

Ist die Nichtanwendung der Norm eine nicht begründbare Pflichtverletzung?

Und darum geht es den beiden Gelehrten im Kern, um die Begrenzung der Haftungsrisiken. Wie mag wohl ein Gerichtsurteil ausfallen, wenn ein Richter oder eine Richterin fragt, ob es bestimmte Branchenstandards innerhalb von Beratungsprozessen gebe und ob sich der beklagte Vermittler daran gehalten habe? Dass Beraterinnen oder Makler bei Nichtanwendung der „Analyse-Norm“ dann schlechte Karten haben, sieht Reiff nicht. Die Falschberatung entstünde erst nach der Bedarfsermittlung. Schwintowski indes betont, dass eine Nichtanwendung der Norm eine wissentliche, nicht begründbare Pflichtverletzung darstelle. Und eine derartige Rangfolge von Finanzthemen, geordnet nach Wichtigkeit für einen Haushalt, könne kein einzelner Makler und auch kein einzelnes Versicherungsunternehmen entwickeln. Diese Priorisierung sei der eigentliche Wert der DIN 77230.

Haftpflichtversicherer gewähren DIN-zertifizierten Beratern Sonderkonditionen

An dieser Stelle kommt ein weiterer Diskussionsteilnehmer ins Spiel – die Vermögenschaden-Haftpflichtversicherer. Es fällt auf, dass beispielsweise die Ergo-Versicherung Norm-zertifizierten Beratern Sonderkonditionen gewährt. So behandelt sie beispielsweise die in der Vereinigung zum Schutz für Anlage- und Versicherungsvermittler (VSAV) organisierten Vermittler wie Certified Financial Planner, sofern sie DIN-zertifiziert sind. Oder: Die Allcura bietet eine günstige Rahmenvertragslösung für zertifizierte Vermittler an. Wie bedeutsam das Zertifikat auf die DIN 77230 für die Allcura ist, zeigt sich schon darin, dass ihr Angebot auch für gebundene Vertreter gilt, wenn deren Arbeitgeber gegen sie Regressforderungen im Schadensfall stellt – sofern der Vertreter, die Vertreterin nicht entgegen der Analyse-Ergebnisse gehandelt hat.   

All das tun sie, weil sie in einer normbasierten Finanzanalyse ein haftungsreduzierendes Element identifizieren, das sie bei hausgemachten Analyse-Verfahren eben nicht erkennen.

Schwintowski schreibt in seinem Fazit dazu: „Ein mittels der DIN 77230 zutreffend ermittelter Bedarf ist eine gute Basis für eine richtige und haftungssichere Beratung.“ In die gleiche Richtung geht auch das Schlussplädoyer von Reiff, der da sagt: „Wenn ein Makler (…) eine umfassende Bedarfsanalyse und Bedarfsdeckung schuldet, tut er schon heute gut daran, sich nach DIN 77230 zu richten.“

Dass auch nach Anwendung der „Analyse-Norm“ Finanzberater haftungsrelevante Beratungsfehler begehen können, will Schwintowski seinem Kollegen Reiff nicht in Abrede stellen. Aber es gehört schon ziemlich viel Dummheit oder Dreistigkeit dazu, Produkte auszuwählen, die nicht dem Analyse-Ergebnis gerecht werden. „So gesehen diszipliniert die DIN 77230 nicht nur Vermittler, sondern schützt die Kunden, indem die Norm für eine kompetente Finanzanalyse und Rangfolge sorgt und damit den Grundstein für eine darauf aufbauende kundengerechte Beratung legt.“

Da sind sich die Herren Gelehrten also doch ganz einig, und die Haftpflichtversicherer gleich mit. Sowieso.

Dr. Klaus Möller ist Obmann des Ausschusses “Finanzdienstleistungen für den Privathaushalt” beim Deutschen Institut für Normung und Vorstand der DEFINO Institut für Finanznorm AG

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