Provisionsrückforderung im Stornofall – jeder Fall ein Fall für sich

Nach Beendigung des Handelsvertretervertrages besteht oftmals Streit über die Frage, ob im Stornofall Provisionen berechtigt vom Handelsvertreter zurückgefordert werden können. Das wirft die Frage auf: Wie verhält es sich rechtlich generell bei Nachbearbeitungen notleidender Verträge? Eine Übersicht…

Nach Beendigung des Handelsvertretervertrages besteht oftmals Streit über die Frage, ob im Stornofall Provisionen berechtigt vom Handelsvertreter zurückgefordert werden können. Das wirft die Frage auf: Wie verhält es sich rechtlich generell bei Nachbearbeitungen notleidender Verträge? Eine Übersicht.

Das Oberlandesgericht München hat hierüber mit einem aktuellen Urteil vom 27.03.2019 entschieden und die Klage eines Versicherers gerichtet auf Rückforderung von Provisionen wegen Stornierung abgewiesen. Nach § 92 Abs. 2, § 87 a Abs. 3 Satz 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) entfällt der Anspruch des Versicherungsvertreters auf Provision im Falle der Nichtausführung des Geschäfts durch den Unternehmer, wenn und soweit die Nichtausführung auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind. Die Nichtausführung des Vertrags ist schon dann von dem Versicherungsunternehmen nicht zu vertreten, wenn es notleidende Verträge in gebotenem Umfang nachbearbeitet hat. Art und Umfang der dem Versicherungsunternehmen obliegenden Nachbearbeitung notleidender Versicherungsverträge bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls. Das Versicherungsunternehmen kann grundsätzlich entweder eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen, die dann freilich nach Art und Umfang ausreichend sein müssen, oder sich darauf beschränken, dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit geben, den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten.

Das Oberlandesgericht München hatte hierbei über den Fall zu entscheiden, dass der Versicherungsvertreter zwischenzeitlich aus der Vertriebsorganisation ausgeschieden ist und urteilte wie folgt: „Im Falle des zwischenzeitlichen Ausscheidens des Versicherungsvertreters aus der Vertriebsorganisation des Versicherers kann dieser zwar grundsätzlich auch den Nachfolger des ausgeschiedenen Versicherungsvertreters mit der Nachbearbeitung beauftragen. In diesem Fall reicht aber die Versendung einer Stornogefahrmitteilung an den Bestandsnachfolger für eine hinreichende Nachbearbeitung i.S.d. § 87 Abs. 3 S. 2 HGB nicht aus, da letzterer den Schwerpunkt seiner Tätigkeit aus Gründen des eigenen Provisionsinteresses darauf setzen wird, Neuverträge abzuschließen und nicht dem Provisionsinteresse seines Vorgängers dienen wollen. Daher muss der Versicherer weiteren Vortrag zur konkreten Nacharbeit durch den Nachfolger des ausgeschiedenen Versicherungsvertreters oder zur Aussichtslosigkeit der Nacharbeit halten“ (OLG München, Urteil vom 27.03.2019 – 7 U 618/18).

Tatsächliche Fragestellungen sowie rechtliche Probleme bei Rückforderung von Provisionen im Stornofall sind komplex. Die Empfehlung ist daher, die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsverlangens durch einen auf Vertriebsrecht spezialisierten Rechtsanwalt überprüfen zu lassen. Denn die Rechtsprechung zur Frage, ob Provisionen im Stornofall berechtigt zurückgefordert werden ist, ist mannigfaltig. Ein Überblick zeigt, dass immer auch die Besonderheiten des Einzelfalles zu beachten sind:

A. Grundlagen

I. Gesetzliche Grundlage, § 87a Abs. 3 HGB

Der Provisionsanspruch des Handelsvertreters entfällt nur dann, wenn der Versicherer die Stornierung zu vertreten hat. In der gerichtlichen Auseinandersetzung ist im Einzelfall oft streitig, ob die Voraussetzungen des §§ 87a Abs. 3 HGB erfüllt sind. Der Versicherer muss dabei im Ausgangspunkt für jeden vermittelten Vertrag das Entfallen der unbedingt entstandenen Provision darlegen und beweisen. Er muss, wenn er sich zur Verteidigung gegen einen Provisionsanspruch auf § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB beruft, die Voraussetzungen dieser Regelung darlegen und beweisen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017 – I-16 U 32/16).

II. Regel: Nachbearbeitung sicherstellen

In der Regel hat der Versicherer die Stornierung des Vertrages dann zu vertreten, wenn der Versicherer keine ordnungsgemäße Nachbearbeitung des notleidenden Vertrages sichergestellt hat. Welche Maßnahmen hierzu erforderlich sind, beurteilt sich nach dem konkreten Einzelfall.

Der Versicherer hat hierbei ein Wahlrecht (BGH, Urteil vom 25.05.2005-VIII ZR 237/04). Der Versicherer kann zum einen selbst Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen oder er kann dem Handelsvertreter eine Stornogefahrmitteilung zukommen lassen, sodass der Handelsvertreter selbst Stornobekämpfungsmaßnahmen ergreifen kann.

III. Ausnahme: Keine Nachbearbeitung

Ausnahmsweise kann jedoch auch eine Nachbearbeitung entbehrlich sein. Hier handelt es sich jedoch um explizite Ausnahmefälle.

1. Kleinstorni

Bei sogenannten Kleinststorni kann eine Nachbearbeitungspflicht entfallen. Der Grund hierfür ist, dass auch ein Handelsvertreter bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise selbst im Falle einer ihm zugegangenen Stornogefahrmitteilung keine Stornobekämpfungsmaßnahmen ergriffen hätte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2016-16 U 32/16). Der Aufwand, den es bedeuten würde, in einer solchen Konstellation etwa Stornogefahrmitteilungen zu versenden und Hausbesuche mit dem Kunden zu vereinbaren, steht in keinem Verhältnis zum möglichen Erfolg. Der Handelsvertreter kann in der für eine solche Vorgehensweise benötigten Zeit mit bedeutend höherer Erfolgsaussicht versuchen, Neugeschäfte zu vermitteln, als die Rettung eines in Stornogefahr geratenen Kleingeschäfts zu versuchen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.11.2015 – I-16 U 227/14). Die Grenze, wann Kleinststorni vorliegen, ist umstritten. Das OLG Brandenburg geht beispielsweise von einer Rückforderung von Euro 50,00 je Versicherungsvertrag aus (OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010-12 U 96/09). Nach dem OLG Düsseldorf bei € 100,00 (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.11.2015 – I-16 U 227/14).

2. Eigenverträge

Eine Nachbearbeitung kann ausnahmsweise auch dann entbehrlich sein, wenn es sich um Versicherungsverträge des Handelsvertreters selbst handelt oder seiner nahen Angehörigen. Der Grund hierfür ist, dass eine eigenständige Nachbearbeitung des Vertrages durch den Versicherer in einem solchen Fall nicht erforderlich ist. Vielmehr verstößt der Handelsvertreter gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn er sich darauf beruft, der Versicherer habe ihn nicht zur Einhaltung des von ihm selbst geschlossenen Vertrages angehalten (OLG Brandenburg, Urteil vom 09.07.2009-12 U 254/08).

3. Aussichtslosigkeit der Stornobekämpfung

Eine Nachbearbeitung kann letztlich dann nicht erforderlich sein, wenn die Stornobekämpfung von Anfang an aussichtslos ist. Beispiele hierfür sind eine feststehende Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsnehmers oder die Mitteilung von Interessewegfall (OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2011-8 U 158/08).

B. Eigene Nachbearbeitung durch Versicherer

Sollte in der Regel eine Nachbearbeitung nötig sein, besteht – wie oben ausgeführt – ein Wahlrecht des Versicherers, entweder Stornogefahrmitteilungen an den Handelsvertreter zu versenden oder eine eigene Nachbearbeitung vorzunehmen.

Der Maßstab der eigenen Nachbearbeitung durch den Versicherer ist hierbei der Aufwand, den der Handelsvertreter selbst betreiben würde (OLG Köln, Urteil vom 09.09.2005-19 U 41/04). Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur besteht nur insoweit, als ein bloßes Mahnschreiben des Versicherungsunternehmens an den Versicherungsnehmer grundsätzlich nicht als ausreichende Nachbearbeitung angesehen wird, selbst wenn das Mahnschreiben einen Hinweis auf die Vorteile der Versicherung enthält (OLG München, Urteil vom 07.06.2017 – 7 U 1889/16 –. Ein einzelnes Mahnschreiben genügt zudem in der Regel nicht. Der Handelsvertreter würde es nämlich nicht bei einem einzelnen standardisierten Mahnschreiben belassen, sondern den persönlichen und/oder telefonischen Kontakt zum Versicherungsnehmer suchen (OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2011-8U 158/08).

Mehrere Mahnschreiben können allerdings ausreichend sein (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.03.2011- 14 U 86/10).

C. Stornogefahrmitteilungen

Sollte in der Regel eine Nachbearbeitung nötig sein, besteht – wie oben ausgeführt – ein Wahlrecht des Versicherers, entweder eine eigene Nachbearbeitung vorzunehmen oder eine Stornogefahrmitteilung an den Handelsvertreter zu versenden.

I. Inhalt

Die Stornogefahrmitteilung muss hierbei so gestaltet sein, dass der Handelsvertreter in die Lage versetzt wird, Selbststornogefahr-bekämpfungsmaßnahmen zu ergreifen (BGH, Urteil vom achten 28.06.2012-VII ZR 130/11).

II. Adressat

Adressat der Stornogefahrmitteilungen muss der Handelsvertreter selbst sein. Bei mehrgliedrigen Vertriebssystemen genügt eine Versendung an die Führungskraft nicht, da hieraus nicht der Zugang beim Handelsvertreter sichergestellt ist (OLG Brandenburg, Urteil vom 10.01.2013-5 U 54/11).

Ein Versand an Bestandsnachfolge des Handelsvertreters reicht ebenfalls nicht aus. Grund hierfür ist, dass das Interesse des Bestandsnachfolgers primär dahingehend gerichtet ist, neue Verträge abzuschließen und nicht Notleidende zu retten (OLG München, Urteil vom 27.03.2019 – 7 U 618/18). Nur ausnahmsweise kann ein Versand an den Bestandsnachfolger ausreichen, wenn der Bestandsnachfolge auch tatsächlich konkrete Nachbearbeitungsmaßnahmen ergreift (BGH, Urteil vom 28.06.2012-VII ZR 130/11).

III. Rechtzeitigkeit der Stornogefahrmitteilung

Die Stornogefahrmitteilung muss zudem so rechtzeitig erfolgen, dass eine Stornobekämpfung auch noch mit Aussicht auf Erfolg betrieben werden kann. Die Stornogefahrmitteilungen hat daher unverzüglich zu erfolgen. In der Regel darf nicht länger als zwei Wochen ab Bekanntwerden der Stornogefahr abgewartet werden (BGH, Urteil vom 28.06.2012- VII 130/11).

IV. Zugang der Stornogefahrmitteilungen

Der Versicherer muss letztlich lediglich die Versendung der Stornogefahrmitteilungen an den richtigen Adressaten beweisen, nicht jedoch deren Zugang. Der Versicherer darf mithin bei Versendung der Stornogefahrmitteilungen an den richtigen Adressaten auf einen ordnungsgemäßen Zugang vertrauen (BGH, Urteil vom 01.12.2010-VIII ZR 310/09).

 

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