Risikoprofilierung des Anlegers nach Normvorgabe hilft allen

Beirat Wolter war als VSAV-Abgesandter ebenfalls stark in die Entwicklung der DIN-Norm 77223 zur Risikoprofilierung von Privathaushalten involviert. Diese Norm ist nun im Konsens verabschiedet und der DIN-Ausschuss, hauptsächlich bestehend aus vertriebserfahrenen Praktikern der Finanzbranche, liefert ein Instrument, mit dem Finanzberater und -Beraterinnen haftungssicherer als bislang das Risikoprofil ihrer Kunden ergründen können. Lesen Sie dazu den Artikel von Hans Peter Wolter.

Mit der DIN-Norm 77223 zur systematischen Risikoprofilierung von Anlegern hat die Finanzbranche für Berater ein Werkzeug zur Qualitätsverbesserung und Haftungssicherheit geschaffen. Erstmals können jetzt auch Immobilien in die Risikoprofilierung einfließen.

Wer sein Vermögen anlegt oder mit seinem Aufbau beginnt, wünscht sich in aller Regel Sicherheit, eine gute Rendite und eine schnelle Liquidierbarkeit im Bedarfsfall. Leider schließen sich diese Anforderungen in den meisten Fällen gegenseitig aus. Eine zumindest die Substanz erhaltende Rendite setzt eine gewisse Risikobereitschaft voraus, die gerade in Deutschland nicht selbstverständlich ist. Wie sonst wäre es zu erklären, dass selbst bei der höchsten Inflationsrate seit 40 Jahren die überwiegende Mehrheit der Deutschen in Festgeldern spart. Tritt dann noch eine unerwartete Wertminderung ein, tendieren Privatanleger zu überzogenen Reaktionen mit den daraus folgenden Verlustmöglichkeiten.

Anlageberater sollten deshalb ihre Kunden im Hinblick auf deren Risikoeinstellung kennen. Sind die Anleger in der Lage, Risiken richtig einzuschätzen und sie mental und auch wirtschaftlich zu tragen? Nur unter dieser Voraussetzung ist die Auswahl einer geeigneten Anlage möglich, ohne dass sie zu einer Überforderung für den Anleger führt

Die DIN-Norm 77223

Genau an dieser Stelle setzt die aktuell veröffentlichte neue DIN-Norm 77223 zur Risikoprofilierung von Privathaushalten an. Sie beschreibt einen Prozess, mit dem Berater das Risikoprofil ihrer Anleger ermitteln und mit der Risikostruktur Vermögen abgleichen können. Auf dieser Grundlage lässt sich die grundsätzliche Frage prüfen, ob Anleger das Risiko tragen können und auch wollen.

Risikoprofilierungen sind vielen Beratern und Anlegern nicht neu. Allerdings sind die Ergebnisse der Risikoprofilierung je nach Produktanbieter wegen fehlender Vorgaben des Gesetzgebers sehr unterschiedlich. Oft werden auch nur Teilbereiche des Vermögens in die Analyse einbezogen. Den Gestaltungsmöglichkeiten – böse Zungen würden von Manipulationen sprechen – sind somit Tür und Tor geöffnet – und der halbwegs informierte Anleger merkt das.

Der Norm-Ansatz bietet mit einer größtmöglicher Transparenz Schutz vor solcher Interessensteuerung. Der in der Norm dargestellte Prozess beschreibt die systematische Erfassung von Kenntnissen und Erfahrungen des Anlegers, seiner Risikotragfähigkeit sowie seiner generellen und seiner - mithilfe einer sogenannten Wertentwicklungsmatrix ermittelten – zweckbezogenen Risikobereitschaft.

Mit diesen Daten deckt der Prozess etwaige Diskrepanzen zwischen der persönlichen Risikoeinstellung einerseits und der Risikoklassifizierung des Vermögens andererseits auf. Eine Besonderheit besteht darin, dass die Norm auch die Risikoklassifizierung von Immobilien entwickelt. Obwohl mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens in Deutschland aus Immobilien besteht, gab es dafür in Deutschland bislang noch kein Regelwerk.

Wie geht die Norm nun vor?

Anlageberater ermitteln mit Anwendung der Norm zunächst einmal das individuelle „Risikoprofil“ des Anlegers. Dieses besteht aus den Teilbereichen Risikotragfähigkeit,

Kenntnisse und Erfahrungen sowie einer generellen finanziellen Risikobereitschaft.

Danach wird die „Zweckbezogene finanzielle Risikobereitschaft“ mithilfe der genannten Wertentwicklungsmatrix erfasst. Hierbei handelt es sich um ein mathematisches Verfahren, das dem Anleger die historischen Wertentwicklungen von Musterportfolios zeigt, die aus Indices verschiedener Anlageklassen (Geldmarkt, Anleihen, Immobilien, Aktien) zusammengesetzt sind und 5 Risikoklassen abbilden. Für seine gewünschte Anlagedauer und den vorgesehenen Anlagebetrag werden ihm Szenarien dieser Risikoklassen dargestellt. Die Wertentwicklungsmatrix liefert ihm jeweils ein nach Risikoklassen gestaffeltes bestes Ergebnis, einen Mittelwert (Median) und ein schlechtestes Ergebnis der geplanten Anlage. Der Anleger entscheidet im Anschluss, welche Risikoklasse er für seine geplante oder zur Überprüfung anstehende konkrete Anlage nutzen möchte.

Mit der „Risikoklassifizierung des Vermögens“ wird die Risikostruktur des vorhandenen Gesamtvermögens ermittelt. Die aktuelle Vermögenssituation wird hierzu detailliert und systematisiert unter Berücksichtigung klar festgelegter Bedingungen erfasst. Besonderes Augenmerk legt die Norm auf eine inhaltliche Definition von Risikoklassen. Diese sind weder in der EU noch in Deutschland einheitlich geregelt. Für einige Anlageklassen wie Immobilien gibt es bislang keine allgemein gültigen Risikoeinstufungen. Hier hat die Norm Festlegungen getroffen.

Der Blick des Anlegers

Die generelle sowie die zweckbezogene Risikobereitschaft als auch die Risikoklassifizierung des Vermögens werden quantifiziert auf einer Skala von 1 bis 5 wiedergegeben. Bei einem Abgleich der Risikobereitschaft mit der Risikostruktur des Vermögens fallen Abweichungen sofort ins Auge, was zu weiteren inhaltlichen Überprüfungen der Anlagestruktur oder einzelner Teile davon führen sollte. Dem Anleger wird eine ungleich größere Transparenz im Vergleich zur Vergangenheitsbetrachtung vermittelt. Auf dieser Grundlage kann erst die Basis geschaffen werden für eine anschließende Festlegung der Risikoklasse möglicher Neuanlagen oder von Bestandsanlagen im Rahmen einer möglichen Umstrukturierung des vorhandenen Vermögens.

Die Sichtweise des Beraters

Für den Berater gilt die allgemein anerkannte Haftungsreduzierung bei Anwendung von DIN-Normen. Zugleich nutzt er die Leitplanken eines vorgegebenen Prozesses für seine Tagesarbeit. Generell greift die Norm nicht in den Beratungsprozess ein. Sie endet mit ihren Analyseergebnissen vor dem eigentlichen Beratungsbeginn. Der anschließenden Beratung des Anlegers wird ein belastbares Fundament gegossen.

Für die Gesamtbetrachtung eines Kunden oder einer Kundin ist die Anwendung der Norm zur Risikoprofilierung wesentlich. Sie ist mit ihren jeweiligen Ergebnissen darüber hinaus eng verzahnt mit den Ergebnissen der Analyse-Norm 77230 für Privathaushalte. Die darin enthaltene Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen, die nach EU-Verordnung ab dem 2. August zwingend vorgeschrieben ist, wird somit der letzte Teil einer umfassenden Erhebung von Anlegerinformationen als Vorbereitung auf die Auswahl eines geeigneten Anlageproduktes sein.

Dieses „ESG-Modul“ liegt der Öffentlichkeitaktuell als Entwurf zur Begutachtung und Stellungnahme bis Anfang Juli vor.

Kontakt

Hans-Peter Wolter 

Mörscher Weg 4
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E-Mail: wolter@wolter-finanz.com
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