Lockt der Green Deal wieder die Hasardeure alter Zeiten an?

Dazu passend und schon jetzt als Auftakt ein Diskussionsbeitrag der VSAV-Beiräte Jochen Strohmeyer und Hans Peter Wolter: Ruft der Green Deal der EU und die Verpflichtung zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen womöglich das Risiko fragwürdiger Produkte hervor?

Der 2. August 2022 bedeutet für die Anlageberatung den wohl größten Einschnitt seit langer Zeit. Dann müssen Berater ihre Kunden nach deren Nachhaltigkeitspräferenz befragen. Die Folgen für den Anlagemarkt sind kaum abzusehen – auch in negativer Hinsicht. Ein Kommentar.

Hans-Peter Wolter und Dr. Jochen Strohmeyer

Der Ende 2019 von der Europäischen Kommission vorgestellte Green Deal ist ein Konzept mit dem Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf Null zu reduzieren und somit „als erster Kontinent“ klimaneutral zu werden. Mit dieser Zielsetzung ist ein Transformationsprozess zu einer nachhaltigen Wirtschaft verbunden. Vorgesehen ist hierfür eine umfangreiche Palette von Maßnahmen, die in unterschiedlichste Bereiche der Wirtschaft eingreifen. Eine wesentliche Rolle kommt dem Finanzsektor zu. Nachhaltigkeitsthemen sollen zukünftig in starkem Maße in die Entscheidungsprozesse von Investitionen und Finanzierung einbezogen werden.

Ein hochkomplexes Verordnungssystem zur Nachhaltigkeitsthematik soll nach der Vorstellung der EU-Kommission den Orientierungsrahmen zur Zielerreichung des Green Deals liefern.

Der Green Deal in der Finanzwirtschaft: ein hoch komplexes Verordnungssystem

Mit der „Taxonomie-Verordnung“ hat die EU-Kommission ein Klassifizierungssystem für wirtschaftliche Aktivitäten geschaffen, die nach wissenschaftlichen Kriterien als „nachhaltig“ eingestuft werden. Sie definiert sechs gemeinsame Nachhaltigkeitsziele, die in der EU erreicht werden sollen: „Klimaschutz“, „Anpassung an den Klimawandel“, „Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen“, „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“, „Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“ und „Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme“. Eine Aktivität gilt gemäß Taxonomie als nachhaltig, wenn sie eines dieser sechs Taxonomie-Ziele wesentlich fördert, kein anderes Taxonomie-Ziele verletzt und bestimmte Mindeststandards bei Menschen- und Arbeitnehmerrechten einhält.

Mithilfe dieses Systems können grüne Anlageprodukte definiert werden, die komplett oder zu einem gewissen Mindestanteil in taxonomiekonforme Aktivitäten investieren, um Kapitalströme anhand von Nachhaltigkeitsaspekten zu lenken.

Die „Offenlegungsverordnung“ regelt die Berichtspflichten über nachhaltige finanzielle Wirtschaftsaktivitäten. Aus ihr leitet sich gleichfalls die Einteilung von nachhaltigen Anlageformen in unterschiedliche Kategorien ab. So werden nachhaltige Investitionen nach Artikel 8 der Verordnung in „hellgrüne“ und nach Artikel 9 in so genannte „dunkelgrüne“ Produkte eingeteilt. Als ökologisch nachhaltig, „dunkelgrün“, gelten Produkte, wenn sie im Sinne der Taxonomie-Verordnung eines der sechs Umweltziele direkt fördern und die anderen genannten Bedingungen einhalten.

Sie stellen eine Art „Goldstandard“ im Bereich der Nachhaltigkeit dar. Kein Wunder, dass Asset Manager versuchen, ihre nachhaltigen Produkte in die beiden „grünen“ Kategorien nach der Offenlegungsverordnung einzuordnen; wenn möglich sogar in den Goldstandard.

Genau an dieser Stelle taucht ein Begriff im Markt auf, der vor einigen Jahren nur einer Gruppe von Experten bekannt war: „Greenwashing“. Mit dem Begriff "Greenwashing" ist im Bereich des Kapitalmarkts gemeint, dass Produktanbieter zum Zweck der Maximierung des Profits gegenüber Anlegern unzureichende oder sogar falsche Information über den Inhalt des Produkts machen. Den Anlegern wird fälschlicherweise suggeriert, ihr Geld werde nachhaltig investiert. Greenwashing täuscht den Anleger damit über die Erfüllung seiner Anlageziele abseits der erwarteten Rendite. Seine herkömmliche Renditeerwartung mag durch ein „gegreenwashtes“ Produkt ohne Weiteres erfüllt werden: Finanzielle Nachteile drohen ihm durch Greenwashing nicht.

Das Problem: Zum Stichtag 2. August 2022 wird der Markt kaum grüne Produkte liefern können

Die heftig geführte Diskussion über Greenwashing überdeckt einen anderen, in die gegenteilige Richtung laufenden Aspekt: Es gibt derzeit fast keine Produkte, die völlig der Taxonomie-Verordnung genügen. Zwar ließen sich solche Produkte bei Konzentration auf direkte Umweltinvestitionen wie beispielsweise Windkraft oder Solarenergie auf den Weg bringen, nach derzeitiger Prognose kann die mit Inkrafttreten des neuen Regelungsregimes am 2. August 2022 erwartete Nachfrage jedoch nicht bedient werden. Umso kritischer ist der Frage nachzugehen: Wer sind die Initiatoren der derzeit bereits im Markt angebotenen Produkte? Und wie werden „grüne“ Produkte ab dem 2. August 2022 voraussichtlich platziert werden?

An dieser Stelle kommt die erweiterte Form der Geeignetheitserklärung ins Spiel. Finanzprodukte mussten schon immer den Anlagezielen des Kunden entsprechen. Dieser soll seine Risiken kennen und die Folgen der Investition müssen für ihn tragbar sein. In Zukunft ist zusätzlich nach seinen Nachhaltigkeitspräferenzen zu fragen. Der Kunde selbst entscheidet über den von ihm gewünschten Grad an Nachhaltigkeit. Ein Produkt in der Angebotspalette des Beraters kann mit den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden übereinstimmen, muss es aber nicht.

Sollten die Kundenpräferenzen zu den Berater-Angeboten nicht passen, so muss der Berater dem Kunden die Abweichungen erklären. Danach kann der Kunde entscheiden, ob er seine Nachhaltigkeitspräferenz im Sinne der Produkte, die der Berater anbietet, ändern möchte.

Ein „guter“ Verkäufer hat diese Situation im Vorfeld strategisch antizipiert. Deshalb könnte er versucht sein, die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen im Sinne seines Produktangebotes zu steuern. Und gerade ein gutmeinender, nachhaltig orientierter Kunde dürfte das ökologisch nachhaltige Produkt als erstrebenswerten Beitrag für die Umwelt ansehen.

Es besteht damit das Risiko, dass der Anleger über die Abfrage seiner Nachhaltigkeitspräferenz sein (vermutlich regelmäßig vorrangiges) Renditeziel aus den Augen verliert, etwa wenn sich Risiken für den Bestand des investierten Kapitals aus der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Emittenten ergeben.

Sind Fehl-Allokationen wie in der Vergangenheit auch bei grünen Anlageprodukten absehbar?

Zeiten, in denen Produkte eher monothematisch entwickelt und vermarktet wurden, gab es viele. Man denke an die Zonenrandförderung in den 70er Jahren, Sonderabschreibungen für den Aufbau der Neuen Bundesländer oder auch die Tonnagesteuer bei Schiffsbeteiligungen.

Dabei standen in der Bewerbung dieser Produkte regelmäßig steuerliche Aspekte im Fokus, während sie trotz des regelmäßigen Bestehens eines Totalverlustrisikos seitens unseriöser Verkäufer immer wieder auch als „sichere“ Produkte zum Zweck der Altersvorsorge angepriesen wurden. So waren die Steuersparmöglichkeiten bei Immobilienfonds der 1990er Jahre so hoch, dass Produkte ohne eine steuerliche Verlustzuweisung in der Nähe von mindestens 80 Prozent nahezu unverkäuflich waren.

Ein ähnliches bekanntes Beispiel ist der Boom geschlossener Schiffsfonds, der immer mehr Kapital deutscher Anleger anzog und zu immer größeren Mengen an Schiffsbestellungen und damit zu riesigen Überkapazitäten führte.

Die negativen Folgen und Verluste dieser Vielzahl von Projekten und Fehlallokationen jeweils in Milliardenhöhe sind bekannt.

Basieren diese bekannten Verwerfungen des deutschen Kaptalmarktes nur auf dem eigentlich bloßen Nebenaspekt einer Steuerersparnis, lässt sich womöglich mit dem 2. August 2022 ein neues, bevorstehendes Risiko,  einer diesmal von moralischen Ansprüchen getriebenen Fehlallokationen erahnen: Wenn schnödes Steuernsparen  schon Milliarden umlenkt, dann erst Recht die Rettung des Planeten. Das dürfte viele kleine oder unerfahrene Produktanbieter wenn nicht gar Hasardeure anlocken.

An dieser Stelle kann daher nicht genug darauf hingewiesen werden, dass „gut gemeint“ noch lange nicht „gut gemacht“ bedeutet. Belege wie zum Beispiel eine Erfolgsbilanz aus der Vergangenheit des Produktgebers oder Informationen über die bisherige Arbeit des Managements sind damit weiterhin von ganz zentraler Bedeutung für eine Anlageentscheidung. Hehre Ansprüche dürfen keine Plausibilität aushebeln. Hier sind Berater und Anleger gleichermaßen gefragt.

Nach den jüngsten Verlautbarungen der BaFin deutet sich zwar an, dass die Pflicht zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen für Vermittler nach § 34f der Gewerbeordnung – anders als bei von Banken und Versicherern vertriebenen Kapitalanlageprodukten - noch nicht zum 02.08.2022 gelten könnte. Wettbewerb sowie gesellschafts- und umweltpolitische Entwicklung lassen es vernünftigerweise jedoch nicht zu, die Befassung mit der Thematik aufzuschieben.

 

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